Litauen

The past is told by those who win, my darling.

1929 erhält Thomas Mann den Literatur-Nobelpreis – u.a. für die Buddenbrooks. Für das Preisgeld baut er sein Sommerhaus auf der Kurischen Nehrung. Knapp drei Jahre später erreicht der Nationalsozialismus auch den vorgelagerten Küstenstreifen, der heute halb zu Russland, halb zu Litauen gehört. Am 10.Mai 1933 übergeben in Deutschland die Menschen begeistert den Zauberberg und andere „undeutsche“ Bücher den „reinigenden Flammen“ der Bücherverbrennung. Mann und seine Familie verlassen das Sommerhaus in Nida/Nidden und kehren nie wieder dorthin zurück. Das Haus bleibt aber in deutscher Hand. Hermann Göring zieht ein und benennt es kurzerhand in „Elchenhain“.

Irgendwie ist die Geschichte des Baltikums für ganz viele jüngere und ältere Deutsche ohne Kriegserfahrung ein weißer Fleck auf der Landkarte der historischen Bildung. Irgendwie endet das Wissen – wenn man einigermaßen fit ist – meist bei Polen. Ok, über Russland weiß man dann wieder doch dies und das. Aber die neuere Geschichte Litauens, Lettlands und Estlands? Fehlanzeige. Dabei hat kaum eine Region in Europa im vergangenen Jahrhundert (und darüber hinaus) so viel unterschiedlichste Okkupation erleben müssen wie das, was man der Einfachheit halber „Baltikum“ nennt. In diesem Text und in diesen Bildern geht es aber auch nicht darum, diese Geschichte nachzuerzählen. Das übernehmen andere. Hier geht es um ein paar Einblicke in das, was geblieben ist – oder das, was (von außen aus betrachtet auf knapp 90km Radweg) bleibt.

Die beiden Länder oben und unten (entschuldigt, liebe Geografie-Kolleg*innen), also Estland und Litauen, gelten aktuell als die baltischen Länder, die sich am schnellsten machen oder gemacht haben. Das merkt man u.a. an den Radwegen. Litauen hat hier als EU-Land, das es seit 2004 ist, in großartige Fahrrad-Autobahnen investiert.

Eine dieser kleinen Autobahnen führt 2018 und 50 Kilometer weiter, wieder auf dem Festland, an Klaipeda (dt. Memel) vorbei. Kurz hinter der Stadt biegt der Weg in einen Wald ein. Die nicht nur funktionalen Leuchten am Rand des Weges verraten schon hinter vorgehaltener Hand, dass hier gleich nicht nur Wald liegen wird.

Mehr und mehr tut sich ein altes Stadion auf. An allen Ecken und Kanten starrt einen feinster sowjetischer Brutalismus und die Faszination an der großen Zusammenkunft an. Von 1945 an ist Litauen bis zur Unabhängigkeit 1991 Teil der Sowjetunion und somit halt auch Spielplatz für sozialistische Architektur. Auf den obersten Rängen gönnen sich einige, noch nicht ganz der Pubertät entflohene Klaipederianer*innen hart und frönen dem abendlichen THC- und Alkoholkonsum. Irgendwie verraten wasserdichte Packtaschen und Treckingräder schnell, dass die Reisenden Deutsche sind. Das von oben hinunter gegrölte „I like your helmet!“ wird zum Abschied noch mit einem „deutschen Gruß“ besiegelt.

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