G20 | Donnerstag

Phänomen – das Sich-an-ihm-selbst-zeigen – bedeutet eine ausgezeichnete Begegnisart von etwas. Erscheinung dagegen meint einen seienden Verweisungsbezug im Seienden selbst, [].

In seinem Werk Sein und Zeit schreibt Martin Heidegger 1926 über vieles und doch irgendwie immer auch das Selbe. Sein. Was ist? Was ist nicht? Gar nicht so leicht zu beantworten, wenn man genauer drüber nachdenkt. Wortgewaltig und immer schwer an der Kante zum rhetorischen Wahnsinn geht er dabei dem nach, was Zeit und Sein eigentlich bedeutet.

In diesen Tagen stellt sich vielen Menschen in Hamburg die Frage: Was ist hier eigentlich los? Dabei geht es wohl irgendwie darum, was einem hier begegnet. Es ist schwer, eine andere Antwort zu finden als Folgende: Macht.

Die Farbe der Macht ist Schwarz – in manchen Erscheinungen auch blau-weiß. Der Klang der Macht ist meist mechanisch, tief dumpf, rollend oder einfach still, schweigend. Zwischen Straßensperren, Scharfschützen, Wasserwerfern oder dem Rotor-Klang der Helikopter zeigt das polizeiliche Hamburg mit all seinem (un)ausgepackten „Equipment“ [vgl. dazu: Dudde, Hartmut: Ausführungen zur Ausrüstung 2017], wie es der Welt begegnen möchte.

Die Farbe des Kapitalismus, der sich hinter der Macht versteckt, ist in diesen Tagen nicht immer genau zu erkennen. Mit Sperrholzplatten unter Sommer-Schluss-Verkauf-Schilder verhüllen sich die großen Ketten aus Angst, hier nun doch einmal selber Opfer ihres Strebens zu werden.

Es wirkt irgendwie schon skurril: Die einzigen Edelkarossen in der Stadt sind in diesen Tagen nicht die Lambos, SLKs und Cayennes der Arschproleten auf dem Steindamm, sondern die der Politiker.

Es ist, was ist. Bald wird es gewesen sein.

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G20 | Mittwoch

Let´s Dance!

Was genau lernen junge Menschen aus G20? Dass ich hoffentlich auch weiterhin für 20 Euro acht Kleidungsstücke bei Primark kaufen kann? Dass bei politischem Engagement einem mit Sturmgewehr entgegengetreten wird bzw. erst einmal die Personalien aufgenommen werden? Dass zwar 130 Millionen Euro für die Finanzierung des Gipfels locker sitzen, aber die Mittel für Schulen und Bildung eigentlich immer noch zu hoch sind?

Es ist momentan nicht schön, in Hamburg zu leben. Zeit, etwas Schönes zu machen.

Lasst uns tanzen!

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Keinen Meter für die AFD | Hamburg

Wie der Witz mancher Menschen nicht mit der Gelegenheit gleichen Schritt hält, so daß die Gelegenheit schon durch die Türe hindurch ist, während der Witz noch auf der Treppe steht.

Aus der Kategorie Treppenwitze: Die besorgten Bürger stehen auf dem Hachmannplatz vor dem Ohnsorg-Theater. Das hätte doch jemand von den Organisatoren vorher bemerken müssen! Hat aber niemand.

Es ist ein Jahr vergangen, seitdem diese recht kläglich und blass aussehende Vereinigung versuchte, durch die Stadt zu marschieren. Es wird wohl wieder ein Jahr vergehen. Mit dem selben Ergebnis: Freies Geleit zum HVV. Danke Hamburg.

UND: Das macht übrigens auch kein Biergarten-Twitter-Account besser, den man mit seinen Selfie-Stick-Bildern vor AFD-Flagge füttert. Nein. Das macht es nicht besser. Vor allem aber auch nicht schöner.

Skurril. Die Lügenpresse wird vor Ort von den Ordnern der AFD bedrängt. Warum dann aber selber Bilder von den Gegendemonstranten machen? Für Mutti daheim? Das alte Spiel: Der Staat schützt das Recht auf Meinungsäußerung. Das ist so und muss so bleiben – auch wenn’s weh tut. Die Freiheit des anderen endet bekanntlich bei Demonstrationen meist an den Absperrgittern. Warum aber kein Schutz für die Lügenpresse?

Keinen Meter für die AFD. Oder um es mit den Worten einer alten Dame zu summieren: „Schweinebacken sind das!“

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Båstnäs

In the backseats of burned out cars

In the disenchantment lane.

The ideal angels twist and turn

and ask forgiveness for future mistakes.

Brian Fallon – auch bekannt als der maximal tätowierte Lieblings-Kreationist von nebenan – weiß einfach, wie es aussieht: Ein Song guter Song braucht hinsichtlich des Wortschatzes nicht viel mehr als „Classic Cars“, „Movie-Screens“ und „Radio“. Das ist wohl auch der Grund, warum man Gaslight-Anthem-Songs als Soundtrack für einen Rundgang auf dem alten alte-Auto-Schrottplatz in Båstnäs abspielen könnte.

Es geht um alte Karren, Rost, Moos und etwas, das es in dieser Form wohl wirklich nur ein Mal gibt: An der Grenze zu Norwegen rasten/ruhen/rosten ca. 300?! Kraftfahrzeuge älteren Datums vor sich hin. Dann, wenn man meint, „Die Straße führt uns maximal zu einer Hütte im Wald, wo wir Opfer eines Serientäters mit sadistischen Neigungen werden, aber niemals zu diesem sagenumwobenen beschissenen Schrottplatz!“, dann liegt auf der linken Seite auf einmal ein Auto im Gebüsch. Die graphostilistische Kennzeichnung des Begriffs „Auto“ deutet darauf hin, dass die Terminologie hier nur bedingt ihre einwandfrei bezeichnende Funktion erfüllt, denn: Der chemische Prozess der Oxidation aka Rosten steht ja bekanntlich für eine Reaktion von Sauerstoff+X. Wenn es aber auch Fachtermini für die Reaktion von Moos+X oder (Borealer) Nadelwald+X gäbe, dann käme man dem, was einem in Båstnäs begegnet, etwas näher.

Das heitere Stelldichein der Kraftfahrzeuge hat primär eine Beitrittsvoraussetzung: Alt sein! Somit findet man auch kein Fabrikat, das „jünger“ ist als ein VW T1 mit geteilter Frontscheibe. Buick, Dodge, Volvo-Amazon, Buckel-Volvo, Chevy, Käfer, Taunus…

Zwischen fotografischer Zwangsstörung, automobiler Faszination und Achtung vor den vom Besitzer angedeuteten „Fallen“ entsteht mit jedem neu erspähten Auto immer auch wieder eine neue Ahnung einer Geschichte, einer Erzählung oder eben eines Songs, der/die entweder auf den Vor- oder Rücksitzen dieser Kraftfahrzeuge erlebt, erzählt oder eben gehört wurde.

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Völkerwanderungen

Mit´m Bollerwagen sind wir durch die Straßen gezogen!

Mit´m Bollerwagen!

Es ist fast immer das gleiche Bild: Menschen ziehen ihre Habseligkeiten auf Bollerwagen oder bollerwagenähnlichen Gebilden durch die Gegend, durch Länder, über Ländergrenzen hinweg. Ex-Kriegsgebiete, Kriegsgebiete und Bald-Kriegsgebiete. Trümmerfrauen, Syrien-Flüchtlinge und 1.Mai-Wandernde.

Eigentlich sollte es nichts Großes werden, doch auf einmal war man drin und kam dann auch irgendwie gar nicht mehr raus: Nördliches Ruhrgebiet, Naherholungsgebiet, Sperrgebiet, Feiergebiet, Kampfgebiet. Die groben Gebietsmarkierungen sind wohl deutschlandweit variierbar, die Grundkonstanten nicht: Es geht um Alkohol, Feiertag, Wettstreit und auch irgendwie nochmals um Alkohol.

Auf der Suche nach Gemeinsamkeiten von Flüchtlingen und 1.Mai-Wandernden beschleicht einen die Einsicht, dass in beiden Fällen der Bollerwagen die „Habseligkeiten“ transportieren muss – die Auslegung des Begriffs „Habseligkeiten“ variiert allerdings. Vielleicht muss in diesem Kontext auch noch mal über den Begriff „Bierseligkeit“ neu nachgedacht werden.

Der Bollerwagen hat im ausgehenden Spätkapitalismus schon lange nicht mehr nur die Funktion der reinen Beförderung von Gegenständen zu erfüllen. In ihm kristallisiert sich mehr und mehr die Suche und auch das Er-Finden formvollendeter Individualität. Nachdem man im Hipster-Tum nur bis zum nächsten GroßKleinstadt-Cafe-Besuch Individualität und optisches Ansehen genießen konnte, bietet der Bollerwagen das, was der Mensch seit Genesis 4, 1-16 wirklich gesucht hat: Respekt und Ehrfurcht!

Doch im Kontext der Mega-Bollerwagen-Präsentation reiht sich zu dem Respekt und der Ehrfurcht noch ein ganzer Rattenschwanz an Begleit-Emotionen: Furcht, Ekel und Fremdscham… Frauenarzt, PUR-Hitmix und Lady Gaga bieten zusammen mit der blanken Gesäßmuskulatur des 1.Mai-Wandernden einen Cocktail, der jedoch leider nur bedingt alltagsvertäglich ist.

Deutschland: Land der Dichter und Denker.

Deutschland: Land der Dichten und Lenker.

5-2014 Wandern in Haltern-137

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Wuppertal

Du bist New York City

und ich bin Wanne-Eickel

Eine zurückgelehnte Feiertagsatmospähre fließt durch die Straßen von Oberbarmen. Junge Migranten sind sich nicht sicher, ob sie am nächsten Tag wirklich keine Schule haben; Filzjacken-Rentner rücken die rausgerutschten Hemden semi-sicher und doch ordnungsgemäß in die Obhut der sicheren Unterhose und Pizzabäcker berichten stolz vom neuen Pavillon für Raucher in der herannahenden, kalten Jahreszeit.

Ein Freund eröffnete vor einiger Zeit die Kategorie „unterschätzte Emoticons“. Welches ASCII-Zeichen ist eigentlich unglaublich gut, aber digital leider total unbeachtet? Ein Freund des Freundes eröffnete einige Zeit danach die Kategorie „unterschätzte Städte“. Welche Stadt ist eigentlich unglaublich gut, aber vom Rest der Republik – abgesehen von Stauschauen – total unbeachtet?

Zurecht haben Kettcar in ihrem Song auf den NYC-Wanne-Eickel-Vergleich zurückgegriffen, denn Wuppertal gehört definitiv in die Kategorie „unterschätze Städte“.

10-2013 Wuppertal-13

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