Ex-Freizeitparks

Nimm mich mit auf den Rummel!

Zwei Brüder. Der Jüngere: Besitzer eines kleinen Freizeitpark-Maskottchens in Hasenform mit langen Ohren. Der Ältere: Ungestüm, wüst und teilweise auch recht grimmig. Eines Tages: Streit Streit Streit. Wo Worte versagen, müssen Taten her. Die Unfähigkeit zur Kommunikation wird durch das Abschneiden der Freizeitpark-Maskottchen-Ohren kompensiert. Streit Streit Streit.

Eine Stadt. Die eine Hälfte: Real existierender Sozialismus und Besitzerin eines Freizeitparks. Die andere Hälfte: Klassenfeind mit Anbindung an den westlichen Imperialismus. Eines Tages: Wende Wende Wende. Wo Haushaltsmittel ausgehen, müssen private Investoren her. Die Unwilligkeit zur Investition wird mit Drogenschmuggel kompensiert. Streit Streit Streit.

Im Herzen von Berlin, kurz hinter dem sowjetischen Denk/Mahn/Ehrenmal, liegt der VEB Kulturpark Plänterwald. Ehemaliger Rummelplatz für den volkseigenen Freizeitspaß. Wo sich früher in heiteren Stunden von der Erfüllung des sozialistischen Plansolls erholt wurde, ist heute die Erotik des Verfalls zu bewundern. Zwischen umgefallenen Dinosauriern und bemoosten Kaffee-Tassen-Karussels nimmt einen die ehemals volkseigene Bimmelbahn für schlappe 2€ mit auf die Reise in die Zukunft durch die Vergangenheit. Glücklicherweise verfügt der Rummel-Reisende heute meist über digitale Kameras, denn die analogen Recycling-Kameras von Kodak sind leider seit ein paar Tagen ausverkauft. Streit Streit Streit.

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Verfall

Für alles gibt es eine Zeit –

Zeit für jedes Vorhaben unter dem Himmel:

Zeit zu gebären und Zeit zu sterben,

Zeit zu pflanzen und Zeit auszureißen.

Zeit zu töten und Zeit zu heilen,

Zeit einzureißen und Zeit zu bauen.

Während die Ostsee ihr Wasser gelangweilt an die mecklenburgischen Strände wirft, Politiker über die Senkung des Solidarzuschlags diskutieren und sich ein Rabbiner erneut für sein Reden rechtfertigen muss, bröckelt es.

Nah bei Wismar – was wohl auch „nah bei jeder Stadt im Osten der Republik“ heißen könnte – liegt idyllisch zwischen Solarfeldern, Go-Kart-Bahnen und Sträuchern gelegen ein kleines Häuschen. Die Überreste eines kleinen Häuschens.

Spricht man von Resten, denkt man an Verfall: Werteverfall, Verfallsdatum und Verfallserscheinungen. Selbst Menschen können etwas oder jemandem verfallen sein. Verfall birgt eine ihm eigenartige Art von Anziehung. Eine Mischung aus Ekel und Neugierde, Interesse und Unbehagen befällt uns bei der Konfrontation mit Verfall. Der eigene oder fremde körperliche Verfall; der im Boulevard-Magazin oder am Gartenzaun angeprangerte sozial-ethische Verfall; die Frage nach dem Verfallsdatum von Schnäpsen; selbst der Verfall einer Lübecker Kaufmannsfamilie fesselt.

Das Spiel oder die Angst mit dem eigenen [wie auch immer gearteten] Verfall ist wohl unterunbewusst die stärkste Triebfeder für die Faszination des Bröckelns, Krümelns, Knarzens und Brechens. Aber warum verhindert man den Verfall nicht, wenn man ihn doch am eigenen Leib oder in der eigenen Nachbarschaft nicht verspüren will? Warum treiben 30 Meter hinter dem zukunfts-zugewandten Solarfeld Holzwürmer und Jahreszeiten unbehelligt ihr grimmiges Spiel?

Kohelet geht davon aus, dass es für alles unter dem Himmel eine Zeit gebe. Wann genau fängt sie aber an?

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Ex-Trendsportarten

Diese Geschichte ist sehr lange her, sie ist sozusagen schon ganz mit historischem Edelrost überzogen und unbedingt in der Zeitform der tiefsten Vergangenheit vorzutragen.

Es ist war der Reiz des Exklusiven, Teuren, Schönen und sicherlich auch der des Arroganten: Das, was sich hinter dem separatistischen Grün der Tennis-Platz-Sicht-Verhinderungs-Netze abspielte, konnte und sollte man nur erahnen. Kurze weiße Röcke, Stirn- und Schweißbänder, Polohemden und nicht zuletzt auch das modische Flaggschiff der Trendsportart # 1 der 70/er und 80er Jahre, der Pullunder, bewegten sich für den exkludierten Zaungast grobpixelig hinter dem, mit allerhand lokalen Werbemaßnahmen gespickten Sichtschutz. Wer spielte dort eigentlich: Die Tennispartner miteinander oder die Tennispartner mit dem Außen-Vor-Stehenden?

Es war die Zeit von Björn Borg, Ivan Lendl und später wohl auch die von Boris und Steffi. Die hier gewählte Zeitform, das Präteritum, deutet darauf hin, dass etwas von dem Glanz der alten Tage auf den Ascheplätzen der Republik verloren gegangen sein muss, denn…

Es ist Gras über die Sache gewachsen: Einen „Aufschlag“ weit vom Elbtunnel und der A7 entfernt, zur illegalen Müllhalde degradiert, von garstigem Buschwerk zerfurcht, fristet das ehemals exklusive Gelände der Plätze 1-6 sein jämmerliches Dasein. Es scheint fast so, als ob die Zauber wieder das binden, was die Mode streng geteilt, denn exklusive Trendsportarten sehen anders aus.

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Wahlkampf NRW

Nee, jetzt hör mal mit deinen versauten Witzen auf! Das ist ne anständige Veranstaltung hier!

Unterhält man sich mit Gleichaltrigen über ihre politische Aktivität in jungen Jahren, so erfährt man von vielen, dass sie als Kind häufig semi-freiwillig oder gegen einen Obolus – in Form von Heiermann aufwärts – durch die Wohngebiete gestreift sind und Propaganda-Material der Parteien ihrer Väter verteilt haben.

Und der Wahlkampf heute? Drei Beispiele:

  1. In großer Sorge über das eigene Seelenheil schaut man lieber beschämt weg, wenn man sich die lokalen Wahlkampfplakate und Veranstaltungen anschaut: Kandidaten, die ihrer adipositas permagna frönen und damit weniger konsequent frei, sondern primär konsequent fett sind.
  2. Andernorts sieht es aus, als ob der abgelichtete Akquisitions-Adoleszente dem Politikmachenden gleich die Unionsbrille von der Nase klauen würde, um wirklich Politik aus den Augen der Kinder zu machen. Es scheint, als ob es eine geheime Verständigung zwischen den Parteien gäbe, diesen Wahlkampf mal „anders“ zu werben…
  3. Düsseldorfer Speckgürtel: Gerresheim. Direkt hinterm Altar der Basilika wird bei Alt und Currywurst Politik gemacht. Während der Kinder-Hüpfburg die Luft rausgelassen wird, bläht sich ein paar Meter der große Schuldenberg-Reduzierungs-Berg auf. Schuldenbremse JETZT! Von 10:00-16:00 Uhr gibt es alles, was das Herz des Politik-Unverdrossenen will: Zuckerrohrschnaps, Reibekuchen oder Spiegelei mit Bratkartoffeln… Es scheint, als ob in diesem Wahlkampf wirklich alles erlaubt ist, als die 3-Mann-1-LKW-Ladefläche-Show-und-Tanzband wanna-be-versaute Sprüche durchs Mikro feilbietet, um diese im gleichem Atemzug zurückzunehmen.

Fremdbeschämt möchte man die erworbenen Essens-Bons umtauschen und in ein Land der Politikverdrossenen fliehen.

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Landschulheim

Wem der große Wurf gelungen,
Eines Freundes Freund zu sein;
Wer ein holdes Weib errungen,
Mische seinen Jubel ein!

Fürwahr! Schiller und Beethoven hatten mit ihren (musikalischen) Ausführungen sicherlich nicht unrecht, doch wird die starke Feder der Freude durch eine „Institution“ ergänzt: Das Landschulheim. Bollwerk der Schuhregale (mit einem unersättlichen Fassungsvermögen von 36 Paar), Hort der Brot- und Aufschnittschneidemaschinen, Heimat der Zitronenteepakete und vielleicht auch die letzte Bastille der Mundorgel. Festen Mut in schweren Leiden? Den findet man nur hier. Dort, wo Matratzen und Tischtennisplatte sich nebeneinander gute Nacht sagen, stellt sich ein Gefühl ein, das
jeder in seinem Leben erfahren haben sollte!

Und wer´s nie gekonnt, der stehle weinend sich aus diesem Bund!

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Trinkhallen

So sehr Heimat auf Orte bezogen ist, Geburts- und Kindheitsorte, Orte des Glücks, Orte, an denen man lebt, wohnt, arbeitet, Familie und Freunde hat – letztlich hat sie weder einen Ort noch ist sie einer. Heimat ist Nichtort, οὐ τόπος. Heimat ist Utopie.

Es lungert fast wie ein Axiom herum und widerspricht alldem, was man irgendwo in seinem Herzen trägt. Heimat soll ein Nichtort sein? (Für die Phrasendrescher unter uns: vgl. Schlink, Bernhard: Heimat als Utopie. Frankfurt: Suhrkamp 2000. S.32)

Da erhebt doch selbst Elvis Einspruch: „home is where the heart is“!

Sollen Schlink und Presley das unter sich austragen.

Fest steht: Heimat ist! Wenn auch nur ab 6 und vor 24Uhr…

Dortmund / Nordstadt / Trinkhalle / Heimat 2.0

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